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Wer sich nicht bewegt, verklebt


Faszien, so erklärte er, waren sehr lange ein Stiefkind in der Medizin. Lange glaubte man, dass es sich bei diesem Bindegewebe um Füllmaterial ohne Funktion handelt. In den letzten 10 Jahren fand die Faszienforschung heraus, dass Faszien über mechanische Eigen­schaften verfügen, die es möglich machen, dass sich die Fasern anspannen und verändern können. Mehr und mehr rücken die Faszien daher inzwischen in den Fokus, wenn es darum geht, Schmerzen oder Krankheiten zu erklären. Die zunehmende Bedeutung wird auch daran klar, dass das Fasziensystem im Körper inzwischen als „Körper im Körper“ betrachtet wird.

Doch was genau sind Faszien? Darunter versteht man ein sehr reißfestes Bindegewebe in einer Dicke von 1mm bis mehrere cm. Dieses befindet sich zwischen Haut und Muskeln, reicht aber auch in die Muskeln hinein. Das Fasziengewebe kommt im gesamten Körper vor und schützt unsere Muskeln, Bänder, Sehnen und Organe. Heute weiß man auch, dass 80% der offenen Nervenenden in Faszien enden – sie sind damit auch der Sitz der Schmerzrezeptoren. Sie formen unseren Körper und werden sogar als 6. Sinnesorgan (für Bewegung und Position im Raum) angesehen.

Während bei der Betrachtung von Muskeln und Knochen Schmerzen lokal betrachtet werden, weiß man von Faszien, dass sie sich in so genannten Faszienketten organisieren. So sind beispielsweise Finger, Arme und Schulter oder auch Zehen, Füße, Beine und der Rücken miteinander verbunden. Rückenschmerzen müssen also ihre Ursache nicht im Rücken haben, sondern können auch daher kommen, dass durch ungünstige Haltungen die Faszien im Sprunggelenk nicht mehr die erforderliche Elastizität aufweisen.

Elastizität ist ein Schlüsselwort, wenn es um Faszien geht. Denn das elastische Gewebe ermöglicht unserem Körper Stabilität und sorgt dafür, dass er belastbar ist. Nimmt die Elastizität ab, so wird die entsprechende Körperregion anfälliger für Schmerzen und Bewegungseinschränk-ungen. Durch die Faszienketten hat eine solche Veränderung immer auch Einfluss auf den gesamten Körper.
Bewegung ist das A und O für elastische Faszien. Haben wir zu wenig davon, verkleben oder verfilzen die Faszien und es kommt zu Bewegungseinschränkungen und Schmerzen.

Der klassische Verklebungskreislauf sehe folgendermaßen aus: Durch eine Spannungserhöhung z.B. durch die immer gleiche Bewegung mit der Computermaus kommt es zu einem Elastizitätsverlust. In der Folge verkleben und verfilzen die Faszien in diesem Bereich und der Betroffene merkt dies durch eine Einschränkung seiner Beweglichkeit. Durch die Faszienketten setzt sich dies in entferntere Regionen fort, so dass am Ende z.B. die Schulter oder der Nacken schmerzt oder sich nicht mehr normal bewegen lässt. Die Ursache hierfür ist aber nicht dort zu suchen, sondern im Mausfinger. Auch langes Sitzen oder einseitige Fehlhaltungen beim Stehen begünstigen diesen Prozess.

Selbst Operationen, Narben, psychischer Stress, eine Übersäuerung durch einseitige Ernährung oder Überlastungen im Sport wirken sich auf die Elastizität des Fasziensystems aus.
Gebhardt zeigte seine Zuhörern einfache Tests, mit deren Hilfe sie sehen konnten, wie verklebt ihr eigener Körper bereits ist. Er machte aber gleichzeitig Mut: „Das Gute an der Erklärung von Schmerzen über das Fasziensystem ist, dass wir dieses gezielt verändern können.“

Wie also können wir wieder locker werden oder es bleiben? Drei Schritte seien hierfür notwendig:

1. Regelmäßige Bewegung: Ziel sollten die vielfach empfohlenen 10.000 Schritte am Tag sein. Auch hüpfen und alltagsfremde Bewegungen stimulieren das Fasziengewebe und wirken so gegen die Verfilzung.
2. Anhaltendes Dehnen, wobei die einzelnen Bewegungen mindestens 1 Minute gehalten werden müssen. Danach werden die Gewebefäden der Faszien elastischer und die Grundspannung reduziert sich.
3. Gewebeflüssigkeit verbessern: Durch mechanischen Druck (z.B. über einen Golfball oder so genannte Faszienrollen) werden die verkürzten Regionen punktuell oder flächig belastet. Dadurch wird die Flüssigkeit aus der Schmierschicht gepresst. Wie bei einem ausgedrückten Schwamm nimmt das Gewebe danach neue Flüssigkeit auf und diese ist von besserer Qualität.

Gebhardt machte deutlich, dass es hier um Kontinuität  und nicht um falschen Ehrgeiz geht. „Fangen Sie mit kleinen Schritten an. Wichtiger ist, dass Sie das auch in sechs Monaten noch machen. Und denken Sie immer daran: Wer sich nicht bewegt, verklebt.“